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Neue Erkenntnisse zur Spermienmorphologie: Kompensierbarkeit von Plasmatropfen in der Besamungsportion

Prof. Dr. Dagmar Waberski, Tierärztliche Hochschule Hannover
Samenzelle mit Plasmatropfen am Spermienschwanz. © Waberski

Samenzelle mit Plasmatropfen am Spermienschwanz. © Waberski

Gute Spermaqualität sichert hohe Fruchtbarkeit. Nötig sind aber auch eine ausreichende Anzahl von Spermien in der Besamungsportion. Je besser die Qualität ist, desto weniger Spermien sind für eine hohe Fruchtbarkeit notwendig. Umgekehrt sind manche Spermamängel durch eine höhere Spermienzahl kompensierbar. Beides gilt natürlich nur in bestimmten Grenzwerten. Grundsätzlich werden Eber mit schlechter Qualität gar nicht für den Besamungseinsatz zugelassen. Die Anforderungen an die Spermaqualität für Jungeber zur Zulassung zur Besamung regeln seit jeher die Gewährschaftsbestimmungen des Bundesverbands Rind und Schwein (BRS).

Nun kann die Spermaqualität allerdings im Laufe des Lebens von Ebern im Besamungseinsatz schwanken. Dies ist vor allem saisonal zu beobachten, wenn im Spätsommer häufiger bestimmte Formveränderungen von Spermien auftreten. Dazu zählen vor allem so genannte Plasmatropfen. Dies sind Reste von Zellplasma, die physiologischerweise während der Reifung der Spermien im Nebenhoden abgestreift werden. Unterbleibt dies, haftet ein kleines Resttröpfchen dem Spermienschwanz im frisch gewonnenen Samen an. Plasmatropfen stellen die häufigste morphologische Abweichung im Ebersperma dar. Ein erhöhtes Vorkommen kann die Fruchtbarkeit herabsetzen. Die erweiterte Technik der computergestützten Spermienanalyse, wie sie von der GFS bereits seit einigen Jahren routinemäßig verwendet wird, ermöglicht die automatisierte Erkennung der Plasmatropfen, sodass auffällige Spermaproben noch vor der Weiterverarbeitung aussortiert werden. Für Jungeber gilt nach BRS-Kriterien die Obergrenze von 15 % Plasmatropfen, um für den Besamungseinsatz tauglich zu werden. Bei Ebern im Besamungseinsatz stellte sich die Frage, ob ein zeitweises, mäßiges Überschreiten dieses Wertes durch eine erhöhte Spermienzahl in der Tube ausgeglichen werden kann, sodass die Fruchtbarkeit vollständig erhalten bleibt. Das würde eine bessere Verfügbarkeit der gewünschten Ebergenetik für die Ferkelerzeuger gewährleisten.

Sind Plasmatropfen kompensierbare Spermienmängel?

Diese Fragestellung wurde in den beiden akkreditierten spermatologischen Referenzlaboren des BRS, der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo Hannover) und dem Institut für Fortpflanzung landwirtschaftlicher Nutztiere Schönow (IFN) mit Unterstützung durch den Förderverein für Bioökonomieforschung (FBF e.V.) in einem zweijährigen Projekt untersucht.

In vitro: Vergleich von Sperma mit und ohne erhöhtem Vorkommen von Plasmatropfen

In vitro wurde zunächst an der TiHo die Beweglichkeit (Motilität) von Spermien mit und ohne Plasmatropfen verglichen. Aufwendige Einzelzellanalysen und Auswertung von Spermienclustern mit vier verschiedenen Bewegungsparametern (Geschwindigkeit, Linearität, Kopfauslenkung, Geißelschlagfrequenz) zeigten geringe Unterschiede in den Bewegungsmustern. Nach Inkubation in einem stimulierenden Medium waren diese nicht mehr sichtbar. Entscheidend war jedoch die Beobachtung, dass morphologisch normale Spermien (ohne Plasmatropfen) aus Samenproben mit erhöhten Vorkommen von Plasmatropfen ähnliche Beweglichkeit wie normale Spermien aus morphologisch unauffälligen Proben zeigten. Dies war auch unter Stressbedingungen, d.h. bei Langzeitlagerung bis zu einer Woche und bei thermischer Belastung, sichtbar. Ein vergleichbares Ergebnis wurde bei Untersuchung der Spermienvitabilität (Membranintegrität) erzielt. Da Funktion (Beweglichkeit) und Membranintegrität der normalen Spermien in Ejakulaten mit erhöhtem Plasmatropfen-Vorkommen uneingeschränkt sind, ermöglicht dies prinzipiell eine Kompensation, vorausgesetzt es sind ausreichend normale Spermien in der Besamungsportion vorhanden.

In vivo: Retrospektive Datenauswertung eines Besamungsversuchs

Zur Überprüfung der in vitro-Ergebnisse wurden Daten eines Feldversuchs mit 1497 Besamungen ausgewertet, der in Zusammenarbeit des IFN mit der BHZP GmbH durchgeführt wurde. Dazu wurden Spermaproben von Jungebern nach Vorkommen von Plasmatropfen gruppiert und verglichen:

  • Gruppe 1: wenige Plasmatropfen (< 10 %; 1235 Besamungen),
  • Gruppe 2: mehr Plasmatropfen, aber noch in Norm( 10-15 %, 125 Besamungen),
  • Gruppe 3: viele Plasmatropfen (> 15 %; 137 Besamungen).

Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen den Gruppen kein statistisch absicherbarer Unterschied hinsichtlich der Fruchtbarkeit bestand. Die Abferkelraten lagen in allen drei Gruppen auf einem hohem Niveau (Mediane 96 bis 100 %) - ebenso die Anzahl geborener Ferkel (Mediane 15 bis 15,5). Zu beachten gilt es, dass in diesem Versuch Proben mit vielen Plasmatropfen, ebenso wie die mit weniger Plasmatropfen, eine vergleichsweise hohe Anzahl an Spermien (Median: 2,1 Mrd. pro Tube) mit hoher Motilität (Median: 92 % am Tag 3) aufwiesen.

Fazit aus den Forschungsprojekten

Ein erhöhtes Vorkommen von Plasmatropfen im Ebersperma ist prinzipiell kompensierbar, sodass die Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Diese Schlussfolgerung sollte mit Bedacht in die Praxis umgesetzt werden, da Ausmaß, Ursache und Dauer des Vorkommens von Plasmatropfen verschieden sein kann und somit auch unterschiedliche Konsequenzen für die Kompensierbarkeit haben kann. Grundsätzlich sollte eine Obergrenze für Plasmatropfen, ebenso wie für andere morphologische Abweichungen, bestehen bleiben. Diese kann aber bei ausreichender Spermienzahl in der Tube und guter Motilität nach oben verschoben werden.

Umsetzung in die Praxis: Neue Richtlinie für konserviertes Sperma

Aufgrund der eigenen Studienergebnisse in Zusammenhang mit Literaturdaten und Erfahrungen aus Feldbesamungen haben die Referenzlabore eine Richtlinie für konserviertes Ebersperma erstellt, die die Kompensationsmöglichkeit von Plasmatropfen beinhaltet. Sie basiert auf den bekannten Gewährschaftsbestimmungen des BRS für die Spermaqualität von Jungebern für den Einsatz in der Besamung. Diese BRS-Gewährschaftsbestimmungen für die Jungeberselektion bleiben unverändert bestehen. Die neue Richtlinie der BRS-Referenzlabors findet Anwendung für konserviertes Sperma von Ebern, die bereits im Besamungseinsatz sind. Neu ist, dass die Obergrenze für Plasmatropfen bei 25 % liegt unter der Voraussetzung, dass mindestens 2 Mrd. Spermien in der Besamungsportion sind und die Motilität mindestens 75 % beträgt. Eber, die dauerhaft erhöhtes Vorkommen von Plasmatropfen im Sperma zeigen, sollten nach wie vor von der Besamung ausgeschlossen werden.


Richtlinie der BRS-Referenzlabors zur Qualität von konserviertem Ebersperma (Stand: 02.08.2023)

Anteil (in %)
Motile Spermien bis 72 h Konservierung 65
Morphologisch anomale Spermien, Summe ≤ 25
Spermien mir Kopfdeformationen ≤ 5
Spermien mit Kopfkappenveränderungen bis 72 h Konservierung ≤ 15
Spermien mit Plasmatropfen ≤ 15*
Spermien mit Schleifen ≤ 15
Spermien mit anderen morphologischen Abweichungen ≤ 15
(*) In Spermaportionen mit mindestens 2 Milliarden Spermien und mindestens 75 % motilen Spermien bis 72 h Konservierung kann dieser Wert um bis zu 10 Prozentpunkte überschritten werden. Der Prozentsatz morphologisch anomaler Spermien erhöht sich entsprechend auf maximal 35 %.
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